RHN 92/2025 | Event
Organisers: Siglinde Clementi (Zentrum für Regionalgeschichte, Brixen) and Margareth Lanzinger (Department of Economic and Social History, University of Vienna)
16 – 17 October 2025, Touriseum Trauttmansdorff, St.-Valentin-Straße, 51a, 39012 Merano (Südtirol), Italy
Gasthäuser und Gastwirt:innen - in Langzeitperspektive
Internationaler Workshop
Gasthäuser sind ein essentieller Bestandteil der touristischen Infrastruktur. Heute meist ausdiffe-renziert in Restaurant und Hotel, bieten sie den Gästen Essen und Trinken, Übernachtungsmöglich-keiten und vieles andere mehr. Werbetexte betonen gerne die ruhige Lage und vermarkten die Nähe zu Skipisten, Aufstiegsanlagen oder Wanderwegen. Werbefotos sind bemüht, entsprechende Bilder zu erzeugen. Gasthäuser, die für das leibliche Wohl sorgen und Gäste über Nacht beherber-gen, gibt es allerdings nicht erst, seitdem die Alpen und damit auch Südtirol im Lauf des 19. Jahr-hunderts ein bevorzugtes Ziel für Sommerfrischler:innen und Alpinist:innen, für die ‚Fremden‘ und später für Tourist:innen wurden. Denn Gasthäuser erfüllten bereits seit dem Spätmittelalter und in zunehmendem Maß seit dem 16. Jahrhundert genau diese Versorgungsaufgaben.
Die große Anzahl von Gasthäusern, die für das frühneuzeitliche Südtirol dokumentiert sind und die zum Teil bis heute fortbestehen, lässt sich auch nicht allein mit den Reisen Richtung Süden von Künstlern, Gelehrten, Pilger:innen, Diplomaten und Adeligen erklären. Vielmehr standen sie – wie-derum als essenzielle Infrastruktur – in Zusammenhang mit dem überaus regen Handel, mit dem Transport und dem Transit von Waren durch Tirol, der über die Jahrhunderte einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellte. Überall dort, wo Pferde gewechselt, Waren auf- und abgeladen wur-den, Zoll zu bezahlen war, Wegstrecken eine gewisse Länge oder Saumpfade eine gewisse Höhe erreichten, standen Wirtshäuser oder zumindest ein Hospiz, verdichtet in den zentralen Durch-zugsorten wie Klausen oder Sterzing, aber auch auf den zahlreichen Nebenrouten über Berge und Pässe. Zu Gast waren Fuhrleute und Säumer, Wanderhändler:innen und Hausierer:innen, Vieh- und Weinhändler, aber auch transkontinental agierende Kaufleute, unterwegs etwa zu den Bozner Messen, oder Schmuggler:innen. Gasthäuser waren Drehscheibe für den regionalen Zahlungsver-kehr und für Kredite. Große Gasthäuser an zentralen Orten, in Tirol „Wirtstafern“ genannt, hatten einen bestimmten Rechtsstatus. Gastwirte konnten mit öffentlichen Verwaltungsagenden betraut sein, etwa wenn sie Melderegister führen mussten. Sie waren pluriaktive Player und fungierten vielfach als Amtsträger in Städten, Märkten und Gerichten und auch als Vormünder und Zeugen, Gastwirte und Gastwirtinnen als Paten und Patinnen. Gastwirt:innen an Transitrouten fallen nicht zuletzt durch ein Heiratsmuster auf: Die Frauen kamen vielfach und großräumiger aus Gastwirts-familien und brachten neben ihrer einschlägigen Sozialisation, ihren Kontakten und Netzwerken, auch beträchtliches Vermögen mit in die Ehe.
Ziel des Workshops ist es, diese lange Geschichte im alpinen Raum und darüber hinaus in einer breiten multiperspektivischen Herangehensweise zu beleuchten und sie damit in den Vordergrund zu rücken, denn sie scheint weitgehend vergessen. Auf den an alten Gasthäuern angebrachten In-fotafeln wird auf frühe Besitzerfamilien und prominente Gäste verwiesen, die historische Bedeu-tung von Handel, Transport und Transit bleibt jedoch unerwähnt und damit unsichtbar. Aktuell sind Transport und Transit wegen der damit verbundenen Verkehrs- und Umweltproblematiken nicht positiv konnotiert, historisch boten sie ein wichtiges Tätigkeitsfeld und eine Einnahmequelle für viele vor Ort.
Tagungssprachen sind Deutsch, Italienisch und Englisch mit Simultanübersetzung Deutsch / Italienisch.
Der Workshop findet in Kooperation zwischen Siglinde Clementi, Zentrum für Regionalgeschichte, und Margareth Lanzinger, PI des ERC Advanced Grant „Agents of Logistics and Infrastructure in Eighteenth Century Alpine Transit Traffic“ – ALPINNKONNECT, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien, und dem Touriseum Trauttmansdorff statt.
Der Workshop ist öffentlich und kostenlos zugänglich. Um Anmeldung wird gebeten: marion.ladurner@touriseum.it
Programm
Donnerstag / giovedì / Thursday 16 October
13.00–13.15 Begrüßung / Benvenuto / Welcome & Einführung / Introduzione / Introduction
Chair: Siglinde Clementi
13.15–14.00 Luca Sallustio (Padova), Approcci incrociati alle osterie prealpine tardomedievali / Verschiedene Zugänge zu spätmittelalterlichen voralpinen Tavernen
14.00–14.45 Rosa Salzberg (Trento): Dentro le osterie veneziane della prima età moderna: spazi, attori, interazioni / Gasthäuser im frühneuzeitlichen Venedig von innen: Räume, Akteure, Interaktionen
14.45–15.30 Matteo Pompermaier (Brescia): Beyond Hospitality: Inns and Wine Sellers in Early Modern Venice
Kaffeepause / pausa caffè / coffee break
16.00–16.45 Andrea Pojer (Trento): Gasthaus- und Straßeninfrastrukturen entlang sekundärer Gebirgsrouten. Raumhistorische Perspektiven auf die Dolomitenpässe im 17. Jahrhundert / Locande e infrastrutture stradali lungo le vie secondarie di montagna. Prospettive storico-spaziali sui passi dolomitici nel XVII secolo
16.45–17.30 Francesca Ferrando (Verona), Ostesse e locandiere tra Genova e Venezia: lavoro femminile e pratiche illecite nel Settecento / Gastwirtinnen zwischen Genua und Venedig: Frauenarbeit und illegale Praktiken im 18. Jahrhundert
17.30–18.15 Jan Blonski (Florence): Inn-frastructure. Drinking Houses, Publicans, and Local Communities in Early Modern Lesser Poland
Freitag / venerdì / Friday 17 October
Chair: Francesca Brunet
09.00–09.45 Nikola Langreiter (Kattau), Der Löwenwirt Franz Josef Ulmer und die Dornbirner „Sturmtage“ (um 1790) / L’oste del Löwen Franz Josef Ulmer e i “giorni della tempesta” di Dornbirn (1790 circa)
09.45–10.30 Hans Heiss (Brixen/Bressanone): Pufferzonen der Militarisierung: Tirols Wirtstabernen in den Koalitionskriegen 1793–1802 / Zone cuscinetto della militarizzazione: le locande tirolesi durante le guerre di coalizione 1793–1802
Kaffeepause / pausa caffè / coffee break
11.00–11.45 Franziska Cont (Brixen), (K)ein Frauengewerbe. Elisabeth von Grebmer als Wirtin des Brunecker Postgasthauses / (Non) un mestiere da donna. Elisabeth von Grebmer come ostessa del Postgasthaus di Bunico
11.45–12.30 Sigrid Wadauer (Wien): Fremdenbücher als Interaktionsprotokolle / Registrazioni di ospiti come protocolli di interazione
Mittagessen / pranzo / lunch
Chair: Magdalena Gärtner
14.00–14.45 Maria Heidegger (Innsbruck): Zwischen Zams und Nauders: Wirtshäuser und Gastwirt:innen am Weg über den Reschen, 16.-18. Jahrhundert / Fra Zams e Nauders: Locande, osti e ostesse lungo la via che attraversa il Passo Resia, XVI-XVIII secolo
ALPINNKONNECT: Agents of Logistics and Infrastructure in in Eighteenth-Century Alpine Transit Traffic
14.45–15.30 Margareth Lanzinger (Wien): Pluriaktive Wirtsfamilien und mulitifunktionale Wirtshäuser im transalpinen Transitverkehr / Famiglie ospitanti pluriattive e locande multifunzionali nel traffico di transito transalpino
15.30–16.15 Christof Jeggle (Wien): Von Gasthaus zu Gasthaus. Straßeninfrastrukturen im Transalpenverkehr des 18. Jahrhunderts / Da locanda a locanda. Le infrastrutture stradali nel trasporto transalpino del XVIII secolo
Kaffeepause / pausa cafè / coffee break
16.45–17.30 Sophie Prein (Wien), Verena Radner (Wien): Heiratsbeziehungen und Netzwerke zwischen Südtiroler Gastwirts-Familien / Relazioni matrimoniali e reti tra famiglie di albergatori altoatesini
17.30–18.15 Senta Herkle (Wien), Riccardo Rossi (Wien): Cibare, custodire, commerciare: il ruolo delle locande nelle Tre Leghe negli scambi translocali / Verpflegen, verstauen, verkaufen: Die Rolle der Gasthäuser in den Drei Bünden im translokalen Austausch
Weitere Informationen und das vollständige Tagungsprogramm: https://regionalgeschichte.it/de/veranstaltungen/gasthaeuser-und-gastwirt-innen
Kontakt
siglinde.clementi@regionalgeschichte.it
Sources: https://regionalgeschichte.it/de/veranstaltungen/gasthaeuser-und-gastwirt-innen#dateien and H-Soz-Kult